Ich heiße Oswald, mein Pass hat die Nummer C4V2FPT23 und ich bin am Leben.
Noch.
Trotz aller Selbstzweifel bin ich, was das anbetrifft, ziemlich sicher.
Diese Gewissheit nützt allerdings der Niedersächsischen Versorgungsstelle, die mir meine monatliche Pension brav überweist, sehr wenig.
Die sind von Natur aus misstrauisch. Ist auch verständlich, denn die da, die zahlen. Ich streiche ein.
Um das Problem zu lösen gibt es da so einen Vordruck. Oben drauf steht „Lebensbescheinigung“, und dieses auch auf Englisch und auf Französisch, und das alles mit den entsprechenden Erklärungen schön in der jeweiligen Landessprache. Eine solche Bescheinigung muss ich gegen Ende eines jeden Jahres, welches ich in außerdeutschen Landen verbringe, eigenhändig unterschrieben und offiziell abgestempelt auf dem Postweg vorlegen.
Das klappte bisher auch immer sehr gut, denn in meiner Wahlheimat, in St. Étienne, da kennt man mich und das Formular wurde somit jedes Jahr prachtvoll abgestempelt.
Jetzt allerdings, weitab in der Fremde, da sah es anders aus.
Es war in Chalamont (№ 33) wo ich zur möchtegern-pompösen Bürgermeisterei ging um mir einen Stempel zu holen.
Das war unsere letzte Station in Frankreich, bevor es per Brummi über den Berg nach Italien gehen sollte. Und da das Papier auf Französisch und nicht auf Italienisch verfasst war, wollte ich es hier erledigen.
Aber nix da !
„So was haben wir noch niemals ausgefüllt“, sagte mir die Sekretärin mit einem süßlichen Mäulchen und wollte mir das Papier zurückgeben. „Nein, bitte, legen Sie es dem Herrn Bürgermeister vor, ich hole es morgen ab.“
Am nächsten Tag, Absage : „Nein, so was haben wir hier noch niemals gemacht, es tut uns leid. Versuchen sie es bei der Gendarmerie.“
Also ab zur Polente.
Ein kokettes Fräulein in Uniform saß hinter einer Art Tresen. Sie wendete das Papier von links nach rechts und wieder anders herum, ohne zu lesen. Ich erklärte noch einmal mein Anliegen und bat sie die Erläuterungen zu lesen, aber sie nestelte nur am Papier herum, es hatte nur noch gefehlt, dass sie daran geschnuppert hätte. Ich sah es schon kommen, dann aber verschwand sie irgendwo hinten in einem der Gänge. Da erst sah ich ihr recht gewichtiges Hinterteil und bemerkte ihren Gang, wie der eines überfütterten Frettchens. Nicht unbeholfen.
Ich hörte Gemurmel, offensichtlich sprach sie mit dem diensthabenden Vorgesetzten : „Nein, ich bin doch kein Arzt, der soll so etwas bescheinigen“, das konnte ich gerade noch verstehen.
Ich gab’s auf.
Französische Gendarmen haben offensichtlich eine andere Ausbildung.
Wie ich’s aus deutschen Krimis kenne, ist es wohl ein Arzt der den Tod feststellt, ein Polizist hingegen merkt normalerweise, das so ein Irgendwer vor ihm, der mit seinem Pass und einem Amtspapier vor ihm herumfuchtelt, noch am Leben ist.
Oder ?
Das Nachbardorf von Chalamont heißt Crans (№ 33½), was soviel wie „Verwegener Mut“ bedeutet, wenn da auch ein s zu viel ist. Angestachelt von diesem verheißungsvollen Namen begab ich mich dort zur Bürgermeisterei, und sieh da, es klappte !
Aber, das muss ich zugeben, wohl nur deswegen, weil Alain ein Freund des Bürgermeisters ist und zusammen mit ihm auf die Jagd geht. Und Pony-Alain hat uns begleitet und Fürsprache gehalten.
Dank Alain darf ich nun weiterhin am Leben bleiben, jedenfalls für das Niedersächsische Versorgungsamt.
Und das ist im Moment wichtiger als der Tod.
Denn einmal unter der Sode, da brauche ich nix Bares.
Nur jetzt.