Was suchen Sie hier ?
Der Stallbursche fragte es mich, und es klang nicht unfreundlich,aber sehr italienisch, also unverständlich.
Eigentlich suchte ich nur Heu.
Also :
Vielleicht ist das alles nur Einbildung und eine Geschichte die ich mir ganz alleine und selber erzähle ?
Vielleicht.
Wir sind mit einem alten Brummi hierher gekarrt worden. Über die Alpen und dort, wo der Berg zu hoch ist, unten durch. Ganz einfach.
Der alten Gewohnheit folgend ist die eine Stute, immer dieselbe, wiedermal bewegungsunfähig. Aber trotzdem sind wir in Italien, und das ist nicht nur eindeutig zu hören, nein, es ist auch ziemlich sichtbar.
In dieser Bar war es mir möglich, mich ins Netz zu mogeln.
Ulrike schrieb mir, und das war dieses :
„Torino.
Hauptstadt des Piemont
Für den besten Blick soll sich ein kurzer Marsch auf den Monte dei Cappuccini lohnen (Blick auf die barocke Altstadt und die Alpenkulisse als Sahnehäubchen.
Altstadt : Am Po, etliche Arkaden, viele historische Cafes, z.B. Al Bicerin, wo es ein Getränk aus Espresso, Schokolade und Sahne gibt. (Aber das gibt es in Potsdam auch,- nur da seid Ihr gerade nicht.) Via Garibaldi : älteste Straße der Stadt.
Museo Egizio, an der Via Accademia delle Science 6, Mo. geschl., bedeutende Papyrussammlung.
Der Palazzo Carignano, zur Savoyer Dynastie gehörend, die zwischen 1861 bis 1946 die Könige Italiens stellte : piemontesischer Barock, dieselbe Straße wie das Museo.“
Was würde der Stallbursche dazu sagen, wenn ich ihm dieses übersetzen könnte ?
Ich sitze hier in der Bar des Reiterhofs von unserem Haltepunkt Nummer 37⅛, aus dem Radio dudelt „it’s so cold“. Stimmt aber nicht, es ist eher zu mild für Ende November, und es regnet Gleichmaß und Langeweile im Gesicht der Serviermaid. Sie hat streng zurückgekämmte Haare, dunkelbraun, und ein hoch zugeknöpftes Blüschen. Gepunktet.
Was suche ich hier ?
In diesem Leben, so von mir gewählt und beschrieben in keinem Reiseführer ?
Es ist wahr, die Vergangenheit quillt hier aus allen Ritzen und Ecken. Ich meine Vergangenheit von Menschen die um Macht geiferten, sich in Macht sonnten, ihre Macht zur Schau stellten. Und das Erstaunlichste ist, dass in diesen Spuren, hinterlassen von all diesen Generationen der Mächtigen und der Einflussreichen eine gewisse Schönheit ist.
Finde ich.
Aber auch im Formfluss eines Kampfjets finde ich Schönheit, doch welche ? Von welcher Schönheit kündet ein Palazzo ?
Diese Ästhetik allerdings drängt sich mir derart auf, dass ich nicht anders kann, als zu finden.
Aber deswegen bin ich nicht hier, wo ich gerade bin.
Und da ist auch anderes.
Da sind die versteckten Spuren, von Menschen gelassen, von Menschen vergessen, angenagt von der Zeit.
Die finde ich auch, manchmal. Und das liegt mehr am Augenblick als am Ort. Finde ich.
All die Spuren der anderen Mitbewohner dieser Welt, die finden sich natürlich auch da. Auch wenn die Menschen unermüdlich versuchen, sie wegzurasieren, wegzuputzen.
Kraut in den Mauerritzen, Moos auf dem Nasenflügel des stolzen Prinzen.
All diese leisen Stimmen der Anderen die ganz bescheiden ein klitzekleines Plätzchen in diesem aufdringlichen Menschenlärm erbetteln. Wo sie doch einer viel, viel längeren Geschichte angehören als der unseren kurzen, kleinen Menschengeschichte.
Die Scharen der Touristen haben sich hinter ihren Fernseher verkrochen wie die Kakerlaken hinter die Fußleiste im Thronsaal des Fürsten. (Er modert hinten im Park)
Das Pflaster auf der Prunk-Piazza glänzt feucht und unappetitlich. Nein, beileibe, hier brauche ich wirklich kein Fremdenführer zu sein. Niemand ist anwesend.
Regengraue Langeweile lästert leise ihr Luderlied, vor dem Hintergrund des fernen Verkehrslärms. Zieht feixend über all diese Herrlichkeit her, die doch nur so kurz, so kurz ist.
Finde ich.